Owens, Delia: Der Gesang der Flusskrebse

Hanser Verlag, 460 Seiten, CHF 32.80

ISBN 978-3-446-26419-9

 

Eine tief berührende Geschichte, detailreich und dennoch flüssig erzählt. Präzise und stimmig ausgearbeitete Personen, insbesondere die Hauptperson – Kya, das Marschmädchen. Als Sechsjährige von fast allen verlassen – einzig der cholerische, alkoholsüchtige und gewalttätige Vater bleibt ihr erhalten, bis auch der eines Tages nicht mehr zurückkommt. Mit gerade mal zehn Jahren ist Kya ganz auf sich allein gestellt. Doch sie schlägt sich durch – von den Menschen abgewandt, scheu und immer fluchtbereit. Wenn sie das Leben eines gelehrt hat, dann, dass man von den Menschen nichts Gutes zu erwarten hat. Es fällt ihr schwer, Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen und dennoch möchte sie ihre Einsamkeit durchbrechen. Hin- und hergerissen zwischen Annäherung und Flucht schafft sie es als Jugendliche, den vier Jahre älteren Tate, der ihr Lesen und Schreiben beibringt, in ihr Herz zu schliessen. Sie beginnt von einem Leben zu zweit zu träumen, doch ihm sind Studium und wissenschaftliche Karriere wichtiger. Erneut steht sie verlassen da.

Als Erwachsene wagt sie einen weiteren Versuch und lässt sich auf den Schönling und Frauenheld Chase ein. Doch eines Tages liegt dieser tot und nicht mehr ganz so schön im Morast am Fusse des Feuerwachturms. Der Sheriff mag nicht so recht an einen Unfall glauben. Kya gerät in den Fokus der Ermittlungen und wird schliesslich wegen Mordes angeklagt.

Es kommt zum Prozess vor Schwurgericht, wobei die Geschworenen aus der Mitte der mit tief verwurzelten Vorurteilen gegen das «Marsch-Gesindel» belasteten Bevölkerung bestellt werden. Ist Gerechtigkeit unter diesen Voraussetzungen überhaupt möglich und was ist letztlich in der Nacht, als der Schönling zu Tode kam, genau passiert?

Die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, aufkeimende Liebe, Verrat und die allumfassende Frage nach Recht und Gerechtigkeit vor einer betörenden Naturlandschaft – ein in jeder Hinsicht grossartiger Roman.

 

Buchbesprechung von Charles Aebischer