Schmidt, Joachim B.: Tell

Diogenes Verlag, 288 Seiten

CHF 32.-

ISBN: 978-3-257-07200-6


   

«Kalmann» ist noch in unserem Ohr und vor unseren Augen: Dieser köstliche Haifischfänger und Experte für Gammelhai aus dem isländischen Fischer-Städtchen Raufarhövn, der langsamer tickt und so unbeirrt seinen eigenen Weg geht und in das Räderwerk eines Kriminalfalls hineingesogen wird. Geht Joachim B. Schmidt (40), dieser sympathische und in Reykjavik lebende Bündner Autor, mit der neuen Hauptfigur in seinem eben herausgekommenen «Tell» ähnlich vor und um? Ja und Nein. Schmidts Wilhelm «Tell» ist ebenfalls ein Eigenbrötler, der seine eigenen Wege geht. Aber er ist verschlossen, mürrisch, nicht mit naiv-humorigen Sprüchen gesegnet wie der 37-jährige Fischer aus dem Nordosten Islands. Tell belastet das Trauma seines frühzeitig aus dem Leben geschiedenen Bruders Peter, der ihm sehr fehlt. Er kann nicht Zuneigung zeigen, bleibt seinen Söhnen gegenüber fremd. Und zu seiner Frau Hedwig ist er auch nur durch einen bestimmten Umstand gekommen. Auch sonst vermittelt Schmidt den «Tell»-Mythos der Urschweiz auf erfrischend-direkte Art. Er erzählt ihn in rasanten Schnitten, in frechem isländischen Saga-Stil mit erweitertem Figurenarsenal. Oder wussten Sie Genaueres vom brutalen Gessler-Knecht und -Verachter Harrass? Vom tollpatschigen Häsi? Oder von Lotta, welche die letzten Worte des Romans spricht? Die Figurenperspektiven wechseln schnell, der Plot wirkt wie ein Krimi. Überraschende Einfälle gibt es zuhauf. So mutiert die wiesenfeste Kuh Klara auf der Bootsfahrt nach Brunnen zur Seekuh mit viel Schwimmbegabung. Im Stoff ist viel Derbes, Grobes, Schlammiges, Schlachtwuchtiges und Schwermütiges drin. Aber auch Schalk und immer wieder schöne Finessen. Tells Gegenspieler Gessler etwa hat durchaus weiche Seiten und möchte gerne mehr Familienmensch sein. Bekommt er sein Töchterchen je zu sehen?

Nach fünf Island-Erzählungen setzt Joachim B. Schmidt erstmals auf einen Schweizer Stoff. Und erst noch einen sehr aufgeladenen mit starken Frauen. Rauh und schillernd ist der «Tell», aber eben nicht von Schiller – obwohl einiges von ihm antönt und auch Max Frischs «Tell für die Schule» präsent bleibt. Wer thrillerartige Züge und verblüffende Wendungen mag, wird Freude haben und den gelungenen Roman regelrecht verschlingen.

 

Buchbesprechung von Svend Peternell