McEwan, Ian: Kindeswohl

Diogenes Verlag, 224 Seiten, CHF 17.00

ISBN 978-3-257-24377-2

Sonntagabend in einer grosszügig angelegten Altstadtwohnung mitten in London.

Fiona Maye, angesehene Richterin am High Court, ist bekannt für ihre Gewissenhaftigkeit. Ihr Gebiet ist das Familienrecht. Eigentlich will sie in aller Ruhe auf der Chaiselongue ein Urteil überarbeiten. Doch ihr Mann Jack, ein Geschichtsprofessor – mit dem sie über dreissig Jahre verheiratet ist – eröffnet ihr, dass er ihre Zustimmung zu einer Aussenbeziehung möchte, denn «ich liebe dich, aber bevor ich tot umfalle, will ich noch eine grosse leidenschaftliche Affäre

haben». Fiona ist gekränkt, empört und findet ihren beinahe 60-jährigen Gatten nur noch lächerlich. Kurz darauf beobachtet sie, wie Jack einen kleinen Koffer in ihrem gemeinsamen Auto verstaut. In diesem Moment meldet sich ihr Assistent – ein eiliger Fall: Ein 17-jähriger Junge (er leidet an Leukämie) und seine Eltern verweigern eine Bluttransfusion. Die Familie sind Zeugen Jehovas und lehnen das fremde Blut aus religiösen Gründen ab. Ohne Transfusion aber wird der Minderjährige qualvoll sterben. Fiona weiss, dass ihr wenig Zeit bleibt für ihre Urteilsbildung – kaum 24 Stunden. Nun dürfen persönliche Turbulenzen keinen Platz mehr haben. Dies die Ausgangslange des neuen Romans des englischen Bestsellerautoren.

 

Die Geschichte im für einmal eher schmalen (Leinen)band hat mich von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann gezogen. Sprachlich sehr dicht arbeitet McEwan auf verschiedenen Konfliktebenen. Da ist einmal die über dreissigjährige (kinderlose) Ehe und das Älterwerden, dann vermittelt er Einblicke in einen Gerichtssaal. Zum Thema rund ums Kindeswohl kommt die ganze religiöse Ethik mit den Konflikten zwischen Vernunft und Glauben. Und das Ganze ist nicht überladen, sondern bleibt spannend und berührend. Ich behaupte: das gibt den ersten literarischen Bestseller im 2015!


Buchbesprechung von Hanni Meinen Peternell

033 655 81 62     info@buecherperron.ch